Samstag, 24. Januar 2009
 
Wenn ein Job nicht reicht PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Viktor Englisch, akin   
Freitag, 11. April 2008

271.000 Menschen in Österreich arbeiten geringfügig – oft mehrfach.

“Mit Medien will ich nichts zu tun haben. Sonst verlier ich meinen Job”. Barbara D. (Name von der Redaktion geändert) hört man die Vorsicht an. Die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, scheint für die Mittdreißigerin aus Niederösterreich nicht unbegründet zu sein. Für ihren Arbeitgeber, einen Hausreinigungsunternehmer aus der Region, scheint das Arbeitsrecht eine unverbindliche Empfehlung zu sein. “Ich bin fünfmal geringfügig bei meinem Chef gemeldet”, erzählt sie. Nicht legal, heißt es auf Nachfrage bei der Arbeiterkammer. “Ich muss fünf Gebäude reinigen, und die müssen jeweils extra abgerechnet werden. Deshalb bin ich nur geringfügig gemeldet”, erzählt D. Draußen fallen Schneeflocken, getrieben vom Frühlingswind. Wirbel machen will sie keinen. “Es ist schon schwer genug, einen Arbeitsplatz zu finden, der sich auch mit der Kinderbetreuung ausgeht. Und ich brauch das Geld”. Auf etwa 1.000 Euro kommt D. im Monat – brutto. Ein notwendiger Bestandteil des Familieneinkommens der Familie mit zwei Kindern. Man kommt über die Runden. Ein, vielleicht, zwei Urlaube pro Jahr sind drin. Kurze und sparsame, wohlgemerkt. Wenn keines der Kinder zum Zahnarzt muss oder andere Sonderbelastungen anstehen.

Kein Einzelfall. Bei geringfügig Beschäftigten gebe es überdurchschnittlich viele Beschwerden wegen Verstößen gegen das Arbeitsrecht, heißt es etwa von der Arbeiterkammer Niederösterreich. Laut ihren Erhebungen arbeiten allein in diesem Bundesland etwa 5.000 Beschäftigte für mehr als einen Arbeitgeber. Der Großteil neben dem Hauptjob. Und ein nicht geringer Teil hat mehrere geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. “Das sind aber nur die geringfügig Beschäftigten, die gemeldet sind und Sozialversicherung zahlen”, sagt ein Mitarbeiter der AK. Ein Zeichen, dass die Löhne in vielen Bereichen zu niedrig sind. Dazu kommen noch mehrere Tausend, die neben der Pension oder der Arbeitslosenversicherung geringfügig dazuverdienen. Beides Bevölkerungsgruppen, bei denen jeder Euro zählt. Die Zahlen gelten nur für Niederösterreich. Eine österreichweite Detailerhebung gibt es laut Hauptverband der Sozialversicherungsträger nicht. “Im April kommen die nächsten Details. Früher geht es nicht, wir haben eine Systemumstellung”, heißt es aus der Statistikabteilung. Dass es in anderen Bundesländern wesentlich anders läuft als in Niederösterreich glaubt man dort aber nicht.

Nimmt man diese Größenordnung als Basis für eine grobe Schätzung, wären in Österreich etwa 40.000 Menschen darauf angewiesen, mehr als einen Arbeitsplatz zu haben. “Besonders betroffen sind Frauen”, sagt Claudia Tschernutter, Wirtschaftsexpertin der AK in einer Presseaussendung. Sie machen mehr als zwei Drittel der geringfügig Beschäftigten aus. An ihnen bleibt oft die Kinderbetreuung hängen. Die ist am Land nur vormittags gewährleistet, Teilzeitjobs sind Mangelware. Wie Barbara D. bleibt vielen nur die (Schein)geringfügigkeit. “Wie soll ich das sonst machen mit dem Kind?” fragt eine zweite Putzfrau. Sie jongliert ebenfalls mit mehreren geringfügigen Jobs, in ihrem Fall bei mehreren Arbeitgebern. Nicole, eine studierte Biologin aus Wien, ist ebenfalls betroffen. Halbtags arbeitet sie in einer Bank. “Dann komm ich oft nur eine Stunde heim und geh schon wieder arbeiten”. Nebenbei kellnert die 34-Jährige in drei Lokalen. “Mit dem Hauptjob würde ich nicht über die Runden kommen”. Eine Vollzeitstelle, von der sie auch leben kann, wäre ihr lieber. “Aber ich mache nebenbei noch eine Ausbildung auf der Uni. Und das ginge zeitlich nicht”. Irgendwie ist sie auch über diese Lösung froh. “So geht es für mich zeitlich leichter”. Die geforderte Flexibilität der Arbeitnehmer scheint eine Einbahnstraße zu bleiben. Wer Kinder zu betreuen hat oder eine Ausbildung machen will, schafft das mit einem Vollzeitjob meist nicht. Eine lange Mittagspause um das Kind abzuholen, einen Nachmittag für die Vorlesung freinehmen, eine Woche lernen – geht alles im Regelfall nicht. Nur wenn das Unternehmen ruft, ist Flexibilität eine Tugend, wie man an der steigenden Zahl geleisteter Überstunden sieht. 340 Millionen gemeldete waren es 2006, jüngere Daten gibt es nicht. Das war laut Statistik Austria eine Steigerung von fast 18 Prozent innerhalb von zwei Jahren.

Das Problem “Geringfügig Beschäftigte” zeigt auch die Grenzen des angeblich boomenden Arbeitsmarkts. 271.000 sind es heute in ganz Österreich. Vor zehn Jahren waren es 163.000. macht eine Steigerung von etwa 60 Prozent. Besonders deutlich war das in den vergangenen zwei Jahren – dem Zeitraum, in dem sich der Arbeitsmarkt angeblich erholte. Seit Anfang 2006 gibt es um 50.000 Geringfügige mehr. Gemeldete, wohlgemerkt. “Immer mehr Vollzeitarbeitsplätze werden durch Teilzeit- oder geringfügige Arbeitsverhältnisse ersetzt”, versucht Tschernutter die Entwicklung zu erklären. “Geringfügige werden oft zur Spitzenabdeckung herangezogen, vor allem im Dienstleistungsbereich”. Eine Entwicklung, die sich vor allem während eines beginnenden Konjunkturabschwungs verstärkt. Auch wenn das Geschäft noch gut läuft, stellen Unternehmer keine neuen Vollzeitarbeitskräfte ein, wenn absehbar ist, dass die Nachfrage bald schwächer wird und der neue Dienstnehmer bald gekündigt wird. Stattdessen übernehmen mehrere Geringfügige die Stelle. Die können nach und nach abgebaut werden. Fünf mal acht Stunden Wochenarbeitszeit abbauen macht es möglich, kurzfristiger zu reagieren als einen 40-Stunden-Dienstnehmer rauszuwerfen. Aus Unternehmersicht ein Vorteil. Was aus den Betroffenen wird, ist zweitrangig.

Dazu kommt, dass viele geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse Umgehungsgeschichten sind. Das kommt vor allem in der Gastronomie vor, heißt es von der AK. Dienstnehmer werden nur geringfügig angemeldet, was geringere Lohnnebenkosten für den Unternehmer bedeutet. Arbeiten sie trotzdem Vollzeit, bekommen sie den Rest schwarz ausbezahlt. Nur kurzfristig ein Vorteil. Auf längere Sicht fehlen Pensionszeiten, auch die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sind geringer als bei einem regulären Verdienst. Außerdem ermöglicht das vielen Unternehmern, Kollektivverträge zu umgehen. Klagen sind selten. “Die Leute kommen eigentlich nur, wenn sie gekündigt werden”, sagt etwa ein AK-Mitarbeiter. Die meisten haben Angst, wie Barbara D. Für sie hat das Verhalten ihres Dienstgebers nur Nachteile. Bei ihr fallen diverse Begünstigungen weg, die sie bei einem einzigen geringfügigen Beschäftigungsverhältnis hätte. Auch wenn sie sich selbst sozialversichert hat – jedes Jahr muss sie mehrere hundert Euro an Steuern und Sozialversicherungsabgaben nachzahlen. Wäre sie regulär beschäftigt, wie es ihr zustünde, wären solche Nachzahlungen für sie kein Thema.

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